— Ein Diskussionsvorschlag zum 11. Forum Wissenschaftskommunikation —
Wissenschaft verlangt eigentlich nicht viel: nach neuen Erkenntnissen zu suchen, und das methodisch und überprüfbar. In der Praxis allerdings ist das oft nicht so einfach, wie es zunächst klingt. Und ich behaupte: Der aufblühende Zweig der sogenannten Wissenschaftskommunikation erleichtert die Arbeit der Wissenschaft nicht etwa, sondern erschwert sie. Vielleicht schadet die Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft sogar.
Wissenschaftler sind Entdeckungsreisende, ihre Arbeit ist ein Abenteuer und deshalb nicht vorhersehbar
Wohlgemerkt: Das Problem liegt nicht etwa in dem Ansinnen, Wissenschaft der Allgemeinheit zugänglich zu machen – das ist grundsätzlich löblich und wichtig. Wissenschaft hat die Macht, unser aller Leben zum Besseren zu verändern, und das gelingt umso besser und schneller, je schneller und besser wissenschaftliche Einsichten ankommen, bei Politikern, bei Entscheidungsträgern in Organisationen und Unternehmen, bei den Menschen ganz allgemein. Das Problem liegt anderswo: Wissenschaft ist wie gesagt ein stetiges Suchen. Auf der Erde mag es nicht mehr viele unerforschte Flecken geben; in der Wissenschaft ist deren Zahl unermesslich und wohl auch unbegrenzt. Wissenschaftler sind Entdeckungsreisende, ihre Arbeit ist ein Abenteuer und deshalb nicht vorhersehbar. Zu dieser Arbeit gehören zahlreiche zunächst vielversprechende Wege, die sich dann als Sackgassen herausstellen und deshalb Nichtwissenschaftlern oft als Fehlschläge erscheinen. Tatsächlich sind sie das nicht: Sie zu erforschen ist vielmehr Voraussetzung dafür, die anderen Wege zu entdecken, die dann weiterführen. Nur wer auch die echten und vermeintlichen Sackgassen akzeptiert, hat eine Chance auf wirklich neue und bestenfalls bahnbrechende Erkenntnisse.
Wissenschaftskommunikation will etwas anderes als die Wissenschaft
Wissenschaftskommunikation, wie sie derzeit verstanden und betrieben wird, will aber etwas anderes: Sie will die gewonnenen Erkenntnisse publizistisch vermarkten – und zwar nur die Erkenntnisse, nicht die vermeintlichen Fehlschläge. Sie hält sich spezialisierte Profis, deren Aufgabe es ist, Wissenschaft als erfolgreiches Unternehmen darzustellen und Wissenschaftler als erfolgreiche Akteure (sowie oftmals Wissenschaftskommunikation als erfolgreichen Beitrag dazu). Wissenschaftlicher Erfolg aber hat gerade den Misserfolg zur Bedingung; wer den nicht akzeptieren kann, wird nicht erfolgreich arbeiten können. Wissenschaftlicher Erfolg hat ständige Kritik zur Voraussetzung, an eigenen wie fremden Erkenntnissen, an eigenen wie fremden Methoden. Wissenschaft ist per se unfertig; wie die Demokratie zielt sie nicht auf Endgültigkeit, sondern darauf, die derzeit beste Lösung durch Auseinandersetzung zu finden – und diese Lösung gegebenenfalls übermorgen wieder zu verwerfen, weil sich eine noch bessere findet.
Wissenschaftskommunikation läuft den Maximen der Wissenschaft zuwider
Professionelle Wissenschaftskommunikation, wie sie derzeit oft betrieben wird, läuft dem jedoch zuwider. Wer Wissenschaft als „erfolgreich“ darstellen will durch publizistische Vermarktung der Erkenntnisse, wessen eigener Erfolg an dieser Darstellung gemessen wird, der handelt nach anderen Maximen: Der will nicht die Schwächen aufzeigen, nicht die Probleme, nicht die Lücken. Der will nicht das eigene Tun zur Diskussion stellen. Der will nicht dazu einladen, Fehler zu benennen oder Widersprüche zu anderen Erkenntnissen. Das aber hat Folgen, und zwar negative. Es hat Auswirkungen auf das Verhalten der Wissenschaftler, die ohnehin schon unter einem viel stärkeren Druck stehen als früher, ihre Arbeit zu rechtfertigen. Es hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Und anstatt das Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie zu stärken, werden Vorurteile bestätigt, dass es doch nur ums Geld geht und darum, sich selbst erfolgreich darzustellen. Schlimm sind diese Folgen, wenn die Wissenschaftskommunikation ganz grundsätzliche Prinzipien der Wissenschaft negiert: zum Beispiel auch diejenigen Fakten abzufragen und zu nennen, die der eigenen Meinung oder Darstellung widersprechen. Noch schlimmer sind diese Folgen, wenn das Forum Wissenschaftskommunikation selbst das tut,[1] weil die ausrichtende Wissenschaft im Dialog gGmbH schließlich auch für die deutschen Wissenschaftsorganisationen und -verbände steht.
Wissenschaft braucht keine geschönten Abbilder, sondern echte Transparenz und wirkliche Kommunikation
Wie die Demokratie beruht die Wissenschaft nicht zuletzt auf unbedingter, echter Transparenz. Professionelle Wissenschaftskommunikation aber fördert nicht diese Transparenz, sondern ein künstliches, geschöntes Abbild. Das schadet der Wissenschaft. Es schadet den Wissenschaftlern. Und es schadet der Grundordnung von Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit, die wir lange für fest verankert erachteten und jetzt als sehr viel fragiler erleben, als wir jemals für möglich gehalten hätten.
Vor allem aber hat Wissenschaft diesen Zirkus überhaupt nicht nötig. Es braucht mehr und andere Kommunikation, das bestreite ich nicht. Aber was es braucht, das ist nicht das, was derzeit unter Wissenschaftskommunikation verstanden wird: sondern echte Kommunikation über Wissenschaft, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch mit der Welt da draußen – offen, ehrlich, verständlich, Kritik nicht scheuend, auf wirklichen Austausch gerichtet. Diese Kommunikation ist möglich und sinnvoll. Sie muss aber anders aussehen als das, was derzeit unter dem Etikett Wissenschaftskommunikation veranstaltet wird.
Streiten wir darüber: beim Forum Wissenschaftskommunikation!
Und das Forum Wissenschaftskommunikation kann daran mitarbeiten: indem es auch sich selbst und die eigene Branche zur Diskussion stellt, in Vorgehensweisen, Inhalten und Formaten.
Ich trage gern zu dieser Auseinandersetzung bei.
[1] Wenn z. B. in der Auswertung der eigenen Veranstaltung nicht vorkommt, dass sich diese gar nicht gelohnt haben könnte für die Teilnehmer: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/fileadmin/user_upload/Projekte/Forum_Wissenschaftskommunikation/Dokumente/13_Doku_FWK6_Inhalt_Web.pdf, S. 73
Das wunderbare Bild oben zeigt übrigens die Bronzeskulptur „Auseinandersetzung“ von Karl-Henning Seemann; sie steht in der Düsseldorfer Altstadt und wurde von Unbekannten mit farbigen Mützen versehen. Ich finde das Bild besonders passend: Denn wir müssen uns streiten über diese Probleme, aber wir sollten das mit Humor tun. Herzlichen Dank an den Fotografen Wolfgang Harste vom Lokal[büro], der mir die Benutzung des Bildes freundlicherweise gestattet hat.